Es ist Kösener Brauch und allgemeine corpsstudentische Sitte, dass junge Alte Herren, die ihr Studium beendet haben und an ihre erste Wirkungsstätte ziehen, den dortigen für diese Region zuständigen AHSC/öWVAC aufsuchen. Wenn man bedenkt, dass diese Kontaktaufnahme zu den AHSC/öWVAC (einige AHSC werden von Kösener und Weinheimer Corpsstudenten gemeinsam geleitet) auch in den Statuten der Verbände festgeschrieben ist, dann nehmen die stagnierenden Zuläufe zu den AHSC ein wenig Wunder.
Hier scheint ein Plädoyer für die AHSC/öWVAC angebracht zu sein. Denn die AHSC waren immerhin der Nukleus des VAC. Hatte der VAC doch zunächst keine Einzelmitglieder, sondern bestand nur aus den AHSC-Vereinigungen.
Zunächst das Wesentliche in Kürze: Wenn die ehemaligen Aktiven und Inaktiven der verschiedenen Corps ihr Studium abgeschlossen haben und beginnen, sich ihrem Beruf zu widmen, dann sollen sie in dem für ihren Wohnort zuständigen AHSC ein neues corpsstudentisches Zuhause finden. In dem Studentenlied „O alte Burschenherrlichkeit“ aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts heißt es entsprechend: „Sie zogen mit gesenktem Blick in das Philisterland zurück.“ Philister meint hier den Spießbürger, der mit seinem geregelten Leben sich freilich deutlich abhebt vom ungebundenen jugendlichen Leben der Studenten. Die Abkürzung AHSC bedeutet ausgesprochen: Alte-Herren-Senioren-Convent, und öWVAC bedeutet: örtlicher Weinheimer Verband Alter Corpsstudenten. Ein Alter Herr ist ein Corpsstudent, der sein Studium abgeschlossen hat. Es kann also durchaus auch sehr junge Alte Herren geben. Und im Herzen sind wir alle jung geblieben!
Es haben sich daraus sehr viele und vielfältige AHSC‘ gebildet. In Deutschland gibt es für fast jede Region einen AHSC in der Nähe. Die Treffen dort finden allmonatlich in einem Lokal vor Ort statt. In den meisten AHSC treffen sich die Mitglieder auch zu Veranstaltungen mit Damen außerhalb der Stammtische. Zu erwähnen sind hier beispielhaft nur die Spargel- und Martinsgansessen. Je nach Lust und Laune der Mitglieder können auch Feste zu Hause veranstaltet werden. In Lüneburg sind beispielsweise die Gartenparties mit Damen zum Beginn des Frühlings bereits eine Tradition.
Doch das ist nur der Rahmen. Was jeder einzelne daraus macht und welchen Gewinn er in dieser Runde für sich sieht, bleibt jedem selbst überlassen.
Der Autor dieser Zeilen spricht nun von sich selber und seinen Eindrücken und Erfahrungen. Als junger Alter Herr kam er 1999 nach Lüneburg. Und im Februar des darauffolgenden Jahres war er das erste Mal Gast des Lüneburger AHSC. Zunächst schien sich zu bestätigen, was er bereits als junger Corpsstudent gerüchteweise über die AHSC‘ gehört hatte: ältere Herren, die sich über eher langweilige Themen unterhalten. Doch wurde er dennoch ein regelmäßiger Besucher dieser Veranstaltungen. Und mit dem besseren Kennenlernen der einzelnen Protagonisten füllte sich diese abendliche Runde für ihn immer mehr mit Leben und Witz. Denn die sogenannten älteren Herren begannen Kontur zu gewinnen, und mit ihrer unverwechselbaren Persönlichkeiten Eindruck zu machen. So dass es nach gar nicht langer Zeit für ihn eine liebe Gewohnheit wurde, am dritten Freitag im Monat den Lüneburger Ratskeller aufzusuchen.
Speziell sind vor allem die geistigen Anstöße, die auf dem AHSC gegeben werden können – sei es in naturwissenschaftlicher, medizinischer, juristischer oder künstlerischer Hinsicht. Ein jedes Mitglied kann aus seinem Fachgebiet unendlich viel Interessantes und Besprechenswertes berichten, vor allem in der privaten lockeren Atmosphäre am Abend.
Dabei ist anzumerken, dass am Tisch durchaus auch sich widersprechende Ansichten und Ansätze besprochen werden. Doch hat es der Autor kein einziges Mal erlebt, dass es dabei ohne Respekt vor dem anderen und seiner Meinung zuging. Vielmehr werden alle Mitglieder des AHSC durch ein unsichtbares Band geeint, was sie immer wieder zusammenführt: das ist die Zugehörigkeit jedes einzelnen zu einem Corps entweder des Kösener-, oder des Weinheimer Senioren Verbandes. Und ob zwar alle Corps verschieden sind, und sehr individuelle Züge, was Geschichte und Traditionen betrifft, tragen, hat doch jeder Copsstudent die wesentlichen corpsstudentischen Werte kennengelernt und verinnerlicht. Das sind vor allem eine offene Geisteshaltung, Toleranz gegen andere und eine Form von Ritterlichkeit.
Und so entsteht für manchen eine neue Welt des Corpsstudententums, die er sich als junger Corpsstudent nicht hätte träumen lassen. Denn die Treffen des AHSC bieten ihm die Möglichkeit mit interessanten Menschen zusammenzukommen, die alle vom corpsstudentischen Geist getragen werden. Natürlich bleibt das eigene Corps in der Studienstadt ein immerwährender Sehnsuchtsort. Und ist Ziel so mancher Reise. Aber dieses ist in der Regel wesentlich weiter entfernt als der regionale AHSC.
Der Autor dieser Zeilen blickt auf seine 21 jährige Mitgliedschaft beim AHSC zu Lüneburg im VAC und WVAC. In diesen Jahren hat man sich von vielen Wegefährten für immer trennen müssen. Was haben die verschiedenen Coronae gemeinsam für Stunden gesehen! Und wenn dann ein Platz für immer frei bleibt, dann ist das manchmal hart. Doch es ist der Trost, dass die Weggegangenen in unserer Erinnerung bleiben. „Es wird ihrer bei einem Glase immer frisch und ehrenvoll gedacht, und fort und fort, wird der Vater dem Sohn die Geschichte erzählen“, wie es in Shakespeares Heinrich V. richtig heißt.
Und natürlich lernt der AHSC auch neue Freunde kennen, und nimmt sie in seiner Mitte auf. Das ist das Schöne und Wunderbare, dass sich nämlich immer wieder in der Region angekommene Corpsstudenten beim AHSC melden. Und man mag es glauben oder nicht, es sind immer die Richtigen! Die Gemeinschaft bildet sich stets wieder neu und erschafft mit ganz anderen Impulsen Lebenssinn.
Shakespeare spricht den AHSC/öWVAC aus dem Herzen, wenn er schreibt:
„We few, we happy few, we band of brothers“ – wir wenigen, wir glücklichen wenigen, wir, diese Schar von Brüdern, denn welcher heut mit uns seinen Becher leert, der soll unser Bruder sein!
Markus Wilson-Zwilling Franconiae München, Franconiae-Jena zu Regensburg